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11. Etappe Irkutsk - Tschita

von Uwe

11. Etappe  Irkutsk – Tschita

 

In Irkutsk, heisst es, verbieten die Stadtvaeter den rasanten Neubau im Stadtzentrum (wie etwa in Novosisibirsk oder Krasnojarsk), versuchen das alte Stadtzentrum zu erhalten. Tatsaechlich existiert ein allen westeuropaeischen Anspruechen gerecht werdender wunderbar restaurierter Altstadtteil, der Bezirk 130, mit immer wieder anders gestalteten Haeusern in traditionell russischer Holzbauart, der einzige seiner Art. Gleich dahinter, einen Strassenzug weiter, wird der Mangel sichtbar: immer wieder zerfallende Altbausubstanz oder duerftig erhaltene Wohn- und Geschaeftsbereiche. Die Menschen darin geschaeftig, strebsam oft. Doch als ich einen weiblichen Obdachlosen nach einer Lokalitaet frage, stuerzen zu aggressive Verteidigung bereite Weggefaehrten aus ihren Unterschluepfen und lassen sich nur durch den Hinweis auf meine Recherchetaetigkeit im Auftrag der Presse beruhigen. Sofort veraendert sich ihre Haltung, bestuermen sie mich mit dem Anliegen, fuer ihre Rechte, den Erhalt einiger Parkbaenke, die einem Neubau weichen sollen, zu kaempfen.

Viele Baustellen in Irkutsk werden von Chinesen betrieben. Es heisst, die Russen ueberlassen die einfache Arbeit gern den Auslaendern. Das kommt mir bekannt vor.

Der Weg zum Baikal ist hart, ein ewiges Auf und Ab, von Unfaellopfern flankiert. Zu Fuss der serpentinenreichen Abfahrt zum tiefsten Binnensee der Welt ragt ein Fahrzeug ueber die Leitplanke. Hat der Fahrer mal wieder nicht, wie auf Hinweisschildern empfohlen, das Bremssystem seines Fahrzeugs ueberprueft.

Die Aussicht auf das in die Berglandschaft eingeschnittene Tal mit seinen vereinzelten Ansiedlungen ist beeindruckend. Selbst der Himmel spielt mit: als kuende er von baldigen Umgestaltungen in der hier geologisch aktiven Erdkruste… - Auf dem Weg hierher habe ich immer wieder In- und Auslaender getroffen, die zum Baikal wollten; viele hundert Kilometer oestlich des Sees heisst ein ganzes  Gebiet (ebenfalls einige tausend Quadratkilometer umfassend) “Sabaikalskij” (“Hinter dem Baikal”). Ich bin ein bisschen erstaunt (und enttaeuscht) von der Unzugaenglichkeit dieser Region. Die Menschen in den angrenzenden Ortschaften und ihre Wohnsubstanz spiegeln in keiner Weise die Anerkennung des gesamten Landes als einer besonderen Region wieder. Ich empfinde sie als aermlich, gedrueckt. Selten finde ich einen Hinweis auf eine Zufahrt zum Strand. Die Ortschaft Baikalsk passiere ich ohne Zwischenaufenthalt. Schliesslich muss ich, bevor die Trasse nach Osten abbiegt, ein paar Kilometer zurueckfahren, um ueberhaupt mal im Baikal gebadet zu haben. Zwei mir beschriebene mit Sandstrand ausgestattete Zugaenge habe ich nicht gefunden, ansonsten ist das Ufer steinig, die Wellen zu hoch, um sich dort zu erfrischen. Aber ich habe geraeucherten Omul gegessen, den einheimischen Fisch.

In der Baikalregion treffe ich auch das erste Mal auf aussergewoehnliche Naechtigungsumstaende. Das Hotel, das mir in Tanchoi empfohlen wird, entpuppt sich als unbewirtschaftet. Fuer den Ort verschoenernde Bauarbeiter ist es gut genug. Fuer mich auch. Die Arbeiter, von meinem Vorhaben in Kenntnis gesetzt, kuemmern sich ruehrend um mich, heizen mit dem Tauchsieder im Milchkuebel mein Waschwasser, bekoestigen mich. Ich beziehe Zimmer Nr. 9. Strom und Kanalisation funktionieren noch, ein unbezogenes Bett ist vorhanden.

Irgendwann in dieser Region, genauer gesagt bei der Ueberfahrt in die Republik Burjatien, habe ich kein Telefonnetz mehr. Das ist normal, sagen mir die Leute. In Ulan-Ude, der Hauptstadt der Burjaten, ist alles  wieder in Ordnung. Ich haette zwar ganz gern meine naechsten Gastgeber vorinformiert, aber egal, wird schon klappen. Natuerlich klappt es dann nicht, ich habe keinen Empfang. Hilfesuchend wende ich mich, schon nahe dem Zentrum, an Einheimische, 2 junge Maenner. Techniker. Sie verstehen sofort. Das liegt nicht am Telefon. Zum Glueck haben sie Zeit, laufen mit mir zum Anbieter, zum Arbat, der Kuenstler- und Fussgaengerzone der Stadt. – Es ist einer der Alptraeume der Moderne: bei Vertragsschluss kann es den ueberregionalen Telekommunikationsgiganten nicht schnell genug gehen, da wird gelaechelt ohne Ende; bei Schwierigkeiten wird dir nur eine teure neue Variante vorgeschlagen oder du wirst abgewimmelt. Angeblich sei mein Telefon zu simpel, um Signale zu empfangen. In Wirklichkeit besitzt “Beeline” in Burjatien nicht die erforderlichen Lizenzen zur Versorgung aller Kunden. Da ich mir kein neues (teures) Telefon kaufen will, wechsele ich den Anbieter, alles mit Hilfe der beiden. Die Frage der technischen Kommunikationsfaehigkeit ist zu wichtig, als dass ich sie nicht unmittelbar loesen muesste, auch wenn ich es nicht gern zugebe.

Hinterher bedanke ich mich bei meinen neuen Freunden mit einem Bierchen. Mein neuer Gastgeber Alexej ist informiert, ich brauch bloss noch warten.

Ulan-Ude besitzt mit seinem Boulevard, dem zentralen Platz und dem von Japanern in eigenwilligem Stil gebauten Opern- und Balletthaus ein neues Zentrum. Die eigentliche Attraktion sind die in der Stadtumgebung gelegenen Kloester “Dazan”, buddhistische Zentren mit ueberlebensgrosser goldener Buddhastatue, reichverziertem Inventar und einem geschmueckten Konterfei des Dalai Lama im Klosterinnern sowie im Winde knatternden Gebetsfahnen und freundlichen rotbekleideten Moenchen. Nach dem Besuch laedt mich Alexej in eine Jurte zum Nationalgericht Buusy (russ. Posy) ein. Das sind mit gehacktem Rindfleisch und Bullion gefuellte Teigtaschen, die an die geschlossene Lotosblume, ein buddhistisches Symbol fuer moegliche Erleuchtung, erinnern sollen.

Diese Information habe ich aber unterwegs, auf dem weiteren Weg nach Tschita, von Burjaten bekommen. Erdin, der junge Wirt einer Caféjurte, wollte mich mit Buchleor (Bullion mit Rindfleisch) und Buusy bewirten. Im Gegenzug sollte ich ihm in Englisch Rede und Antwort stehen. Die Bewirtung erfolgte aber erst, nachdem ebenfalls interessierte Russen, die mich an ihren Tisch gebeten hatten, gegangen waren. Offensichtlich benoetigte der Burjate meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Der Weg nach Tschita war von vielen Anstiegen gekennzeichnet. Im mittleren Abschnitt gesellten sich Schlechtwetter und Gegenwind dazu. An einem solchen Tag, nach 100 km, erteilten mir Ortsansaessige die Auskunft, dass 30 km weiter, in Petropawlowka, noch ein Hotel anzutreffen sei. Also fuhr ich weiter. In der Daemmerung  in P. angekommen, erwies sich die Auskunft als falsch. Einmal mehr waren es Burjaten, die mich in ihrem Café in einem hinter der Kueche gelegenen Ruheraum naechtigen liessen, zuvor bewirteten und bekoestigten.

Doch auch Russen bewiesen mir in einer Gegend, in der es immer abenteuerlicher wird, Unterkunft zu finden, ihre erhalten gebliebene Menschlichkeit. In Chilok war es ein Paerchen, das ein von den ueblichen Caféhaeusern durch lustigen Palisadenzaun und Spielplatz leicht abweichendes Raststaettenmodell aufzubauen gedachte und dazu Beschaeftigungslose aus der Umgebung integrierte. Sie liessen mich auf dem sauberen Holzfussboden ihres Bungalows mein Lager errichten. Am Heilsee Arej war es ein seine Freiheit liebender blonder Russe, der als Gegenstueck zum an der Trasse gelegenen nach Bestellsystem arbeitenden “well equipped”Hotel eine alternative Zimmervermittlung mit Selbstversorgung bei Ausnahme der Bewirtung sympatischer Gaeste betrieb. Damit es lustiger ist, beherbergte er von Zeit zu Zeit einen alten Geniesser, Kolja, der uns Gesellschaft leistete und mit immer noch warm-lebendigen Augen zuprostete.

Die letzte Nacht vor Tschita konnte ich mich noch mal ohne Einschraenkung am Ende des Tages in einem gut gefuehrten Hotel ausbreiten und innerlich auf das Kommende vorbereiten: nach Tschita erwarten mich 2000 km ohne Anlaufpunkt, 1500 km ohne groessere menschliche Ansiedlung. (Ein Blick zurueck versicherte mir: Zelt und Schlafsack lagen immer noch auf dem hinteren Gepaecktraeger. Vermutlich hatte ich sie nur zu dem Zweck mitgeschleppt, um 10 000 km von zu Hause entfernt mein Heim einmal selbst zu errichten.)

Anmerkung 1: die im 10. Kapitel vorangekuendigten Themen sind nicht vergessen, sie passen ueberall rein.

Anmerkung 2: Fotos wie immer auf traveldiary.de/Reiseblogs/Asien

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