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13. Etappe Chabarowsk - Wladiwostok

von Uwe

13. Etappe Chabarowsk – Wladiwostok

Es ist vollbracht, die letzte Etappe vollendet. Von hier aus geht es mit der Transsibirischen Eisenbahn zurueck, annaehernd den gleichen Weg, nur  etwas schneller -  10 Tage von Wladiwostok nach Berlin. Viele Ortsnamen werde ich wiedererkennen, mich erinnern. Auf einigen Stationen will man mich verabschieden. Im Abschlussbericht aus Berlin werde ich davon berichten. Jetzt ist es Zeit, die Fruechte einzusammeln.

Doch heute noch einmal der klassische Reisebericht von der letzten Etappe:  

Ich muss noch einmal meine Gastgeber in Chabarowsk loben, Andrej und Jana, die in Folge der Amurueberschwemmung ihr Sommerhaus (Datscha) verloren haben und dennoch bereit waren, mir in ihrer Neubauwohnung ein Zimmer freizumachen; die sich deswegen einschraenkten und bemuehten, mir es so angenehm wie moeglich zu machen. Ich war also wieder einmal in den Genuss der vielgeruehmten russischen Gastfreundschaft gekommen, ohne nach der Motivation gefragt zu haben.

In Chabarowsk wurde ich von der Studentengewerkschaft der staatlichen Pazifikuniversitaet TOGU empfangen und zu meinen Reiseeindruecken befragt. Journalistikaspiranten nutzten die Gelegenheit zu Filmaufnahmen.

Schliesslich bin ich dem Mailvorschlag von Iwan, einem Chabarowsker Trial-Sport-Mitarbeiter (Fahrradverbriebskette), nachgekommen, mein Rad auf Vordermann zu bringen. Gemeinsam haben wir  zum zweiten Mal das Hinterrad zentriert, die Fahrradmaentel getauscht und die Bremsen neu eingestellt. Ich habe meinen vierten Fahrradstaender (!) erhalten. Iwan hat mir geholfen, weil er selber mal in eine aehnliche Situation geraten ist.

In Chabarowsk drohte mich eine erste Kaeltewelle zu erfassen, doch gut 100 km weiter suedlich, in Wjasemskij, spuerte ich einen neuen Warmluftstrom. Bikerfreund Dima hatte mit Vater Georgij, der fast mein Sohn sein koennte, meine Unterbringung in den Raeumlichkeiten der oertlichen rechtsglaeubigen Kirche vereinbart. Die Haushaelterin hatte ihren Schlafplatz im Gemeinderaum geraeumt, der Messdiener die Banja geheizt und das Kuechenpersonal den Tisch fuer mich gedeckt.Vollkommen klar, dass ich am naechsten Morgen bei der Besichtigung des bescheidenen Kircheninnern etwas Geld in der Kollekte hinterliess.

In Bikin wurde ich von einem jungen, noch alleinstehenden Lehrer beherbergt, dessen Bekannte schon in Deutschland Kontakt mit mir aufgenommen hatte. Mich selbst unterzubringen scheute sie sich wegen dem Gerede der Nachbarn, da sie mit einem abwesenden Offizier verheiratet war. Aljona wollte als Deutschlehrerin ohne Praxis Deutsch praktizieren; wir sassen lange beisammen, weil der junge Mann endlich mal wieder vernuenftig Essen bereiten wollte.

In Lutschegorsk schlief ich auf dem Bauernhof. Eine Studentin der TOGU hatte mir die Adresse der Eltern vermittelt, die mich unbedingt empfangen wollten. Dementsprechend angenehm, wieder mit Banja und reichhaltigem Essen, war die Unterbringung.

Ein Bursche, der auf dem Bauernhof aushalf, hatte mir eine Dalnoretschensker Adresse zugesteckt. Dann hatte er eine Hand auf meine Schulter gelegt und Gott mehrfach fuer unsere Begegnung gedankt. Ich hatte mir nichts weiter dabei gedacht, schliesslich waren viele Buerger der ehemaligen Sowjetunion zum Glauben zurueckgekehrt. In schlechten Zeiten, versicherte man mir, brauchten die Menschen schliesslich auch Trost.

Die morgendliche Kaelte und heftiger Gegenwind forderten meine Kraefte. Als ich in einer Pause Kontakt zu meinen neuen Gastgebern aufnehmen wollte, meldete sich eine wie aus dem Tiefschlaf geholte Stimme. Sollte… - doch ich hatte mich getaeuscht. In Dalnoretschinsk erwartete mich ein aufgeraeumter serioeser Mittvierziger, Oleg, dessen Chauffeur mich durch die Vorstadt zu einem im Umbau befindlichen Bau lotste. Dort waren weitere Personen versammelt, die mich erwartungsvoll  begruessten.

“Du kommst gerade richtig. Heute findet hier naemlich eine Aeltestenversammlung der “Kirche als Haus des Lebens” statt.” Man erklaerte mir, dass die mindestens landesweit agierende Organisation bekehrten Drogenabhaengigen zur Heimat geworden war. Zum Dank fuer die neue Lebensqualitaet stellten die Mitglieder einen Teil ihrer Arbeitskraft in den Dienst der Organisation, trafen sich hinterher zu gemeinsamem Singen, Bibellesen und Beten. Mich stoerte nicht, dass das Band dieser Ersatzfamilie Gott war, einzig die Ausschliesslichkeit der Lektuere und Wortwahl, die permanente Bezugnahme auf Gott hatte etwas Befremdliches. Vor dem Einschlafen sah sich mein Gastgeber ein Video aus eigener Produktion an, und morgens, kaum auf den Beinen, funkte er einem Freund eine SMS mit einem Bibelzitat.

Kirowskij beherbergt alle die fuer eine Kreisstadt notwendigen Einrichtungen:  Verwaltung, Post, Telegrafenamt, Schule, Institut, Stadion, Kulturhaus, Museum, Kirche und sogar einen eigenen Verlag.

Aber ausser einer modernen Milchverarbeitungsanlage gibt es keine Produktionsanlagen mehr. Damit teilt die Stadt das Schicksal vieler kleinerer und mittlerer Ortschaften, deren materielle Grundlagen nach der Perestroika weggebrochen sind.

Dass es die Kirowsker trotzdem schaffen, das gesellschaftliche Leben aufrecht zu erhalten, hat die Stadt solchen Leuten wie Margarita Pawlowna Shukowa zu verdanken, die seit vielen Jahren als Journalistin fuer den kleinen staedtischen Verlag arbeitet. Als die Stadtververwaltung die Mittel fuer die 2 mal woechentlich erscheinende Zeitung einstellen wollte, hat Margarita Verlag samt Mitarbeiter uebernommen. Doch das Filetstueck, die Zeitung, musste zu Gunsten eintraeglicherer Formular- und Wirtschaftsdrucke zurueckstecken. Inzwischen geht die Zeitungsproduktion wieder. Margarita, die mich bei sich und ihrem Mann unterbringt sowie bekoestigt, wird von den Mitarbeitern verehrt. Ich verneige mich ebenfalls vor ihr.

Am naechsten Tag werde ich von einem Taifun, der den ganzen Tag anhaelt, so durchnaesst und ausgekuehlt, dass ich mich fuer eine letzte Nacht im Hotel entscheide. Ich muss meine Sachen ausbreiten und ueber einer Heizung trocknen koennen.

Die letzte Nacht vor Wladiwostok verbringe ich in Ussurisk bei einem jungen Ehepaar mit deutschen Wurzeln. Sie wollen nach Deutschland ausreisen, bemuehen sich mit mir Deutsch zu sprechen. Fleissige, korrekte Leute, die ein bisschen oefter lachen koennten.

Natuerlich bin ich zuletzt etwas aufgeregt, aber ueber den mangelhaften Schlaf rettet mich die Erwartung des Ziels, ich rieche foermlich den Ozean.

Und dann sehe ich ihn, den Pazifik. Vor Wladiwostok mit einer Bucht, die eine letzte Huegelkette, die sogenannten Sopkis, einkeilt. Immer wieder nimmt Radio Lemma, dass woechentlich ueber meine Annaeherung an den Endpunkt berichtet hat, Kontakt auf: “Wann erreichst du die Bruecke, die 1 km uebers Wasser bis an den Rand der Stadt reicht?”, fragt Sascha, meine staendige “Begleiterin”.

Bis zuletzt straeubt sich der Wind, dieser Hauptfeind neben den russischen Autofahrern, doch ich lache ihm frech ins Gesicht. Es ist noch frueh am Nachmittag (des 4. Oktober) und nichts kann mich mehr hindern.

Doch zuerst begruessen mich die Biker, meine Freunde auf zwei Raedern, die in Russland so anders sind. Ihrem Wunsch, bei ihnen unterzukommen, kann ich aber nicht nachkommen; ich werde bereits erwartet. Natuerlich verspreche ich eine Visite.

Es ist ein wunderbares Gefuehl, so empfangen zu warden. Je naeher ich meinem Ziel kam, desto unproblematischer gestaltete sich meine Unterbringung. In Wladiwostok gaebe es der Moeglichkeiten viele. Ich entscheide mich fuer eine zentrumsnahe Lage, denn die Stadt soll einen eigenen Charakter haben. Auf den Sopkis vor 150 Jahren gebaut, handelsoffen und modern, werde ich mich hier eine Woche umsehen und erholen (und natuerlich schreiben), bevor ich die Heimreise antrete.

Fotos wie immer auf: traveldiary.de/Reiseblogs/Asien

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