Diese Website verwendet zur Verbesserung der Funktionalität Cookies.

14. Bericht - Wladiwostok

von Uwe

14. Bericht: Wladiwostok

Wladiwostok, die letzte Stadt auf der halbjaehrigen Reise, Endstation und Grenze unseres gemeinsamen euroasiatischen Kontinents, Stadt, an Felshuegel und Buchten des Stillen Ozean geschmiegt, die von meinem Quartier aus einzusehen sind.

Ich wohne nur wenige Busstationen vom Zentrum entfernt, an der Hauptstrasse Swetlanskaja, in einem modernen Hochhaus mit Blick auf die Huegel, den Hafen, die “Golden-Horn-Bucht”, die darueber fuehrende monumentale Schraegseilbruecke mit ihren mehrere hundert Meter hohen Pfeilern. Immer wieder fotografiere ich das einmalige Panorama von innen, Tag und Nacht.

Doch die komfortable Aussicht, das gemuetliche Wohnen unter den Kurgusows mit ihren Hunden und Katzen ist nicht “umsonst”. So intensiv wie hier habe ich den Wunsch meiner Gastgeber, mit mir Zeit zu verbringen, noch nicht gespuert. Dem jaeh aufblitzenden Interesse der Medien, den Vereinnahmungsversuchen weiterer Interessenten kann ich mich durch Abwesenheit, telefonisch begruendet, entziehen; den permanenten Integrationsangeboten meiner Gastgeber nicht.

Sei es, dass Mascha , die jung verwitwete Tochter des Hauses, nicht von meiner Seite weicht, wenn ich mich in die Stadt begebe; sei es, dass die Mutter mit – zweifellos interessanten – Kulturangeboten versucht meine Zeit auszuplanen.

Abwaegend gehe ich auf den einen oder anderen Vorschlag ein, so eine Synthese zwischen den divergierenden Beduerfnissen herstellend. Manchmal denke ich: wenn ich nicht so muede waere, wuerde ich das Quartier wechseln. Aber die Lage der Wohnung und die Aussicht sind ausgezeichnet, ich habe Gesellschaft, wann immer ich will, um mich bellt und miaut es. Ausserdem: was verlange ich denn! Ich bin Gast in einer hilfsbereiten Familie, werde bekocht und durch die Stadt gefuehrt. Wahrscheinlich wirke ich auf Russen westlich arrogant. Nach drei Naechten, der Mann ist vom Fischfang zurueck, erhalte ich sogar ein eigenes Zimmer.

Wladiwostok ist eine schoene Stadt, vielleicht die schoenste und interessanteste neben Moskau, Nowisibirsk, Krasnojarsk und einigen kleineren Staedten mit eigenem Charme. Die starken Strassengefaelle zwischen den Huegeln, den sogenannten Sopkis, wuerden mich an San Franzisco erinnern, wenn ich dort gewesen waere. Das spezifisch Russische: Die Gefaehrlichkeit mancher alten Verkehrswege, die im Unterschied zu der teils uebertrieben gesicherten Trasse zwischen Tschita und Chabarowsk  ungesichert sind. Aber so schlaeft man wenigstens abends auf dem Nachhauseweg vom Besuch bei Freunden nicht ein…

Ansonsten merke ich wieder einmal, dass ich zur richtigen Zeit mein grosses Projekt gestartet habe: Nicht nur der Abschnitt Tschita-Chabarowsk ist seit dem Besuch Putins leichter befahrbar und ungefaehrlicher geworden (damit ist nicht der Strassenverlauf gemeint), auch der baulicheZustand von Wladiwostok, die Verbindung zwischen den vordem nur umstaendlich zu erreichenden Teilen der Stadt sowie die gesamte Infrastruktur haben sich verbessert. Infolge des in diesem Ort geplanten Gipfeltreffens der Pazifikanrainerstaaten wurden bis letztes Jahr 3 gigantische Bruecken gebaut, die die Entwicklung Wladiwostoks zu einer modernen Stadt beschleunigten. Die haeufig im Jugendstil gebauten Stadtkernhauser der gerade mal 150 Jahre alten Stadt wurden saniert, neue Kaufhaeuser und Geschaefte wurden eroeffnet und auf den Sopkis wurden unterschiedlich gestaltete Hochhaeuser gebaut. Sogar den von mir in Erholungsphasen so geliebten Latte Machiato bekomme ich hier in vielen netten Cafes.

Wladiwostok besitzt mehrere Strandpromenaden, immer wieder veraendert sich die Ansicht, wenn man um eine Ecke biegt. Das liegt vor allem an den Huegeln von bis 200 Metern Hoehe, auf und an denen die Stadt gebaut ist; sie veraendern die Perspektive.

Das Wetter ist hier gemaessigter als in den uebrigen von mir befahrenen Landesteilen. Das Meer, das sich  im Fruehjahr erst langsam erwaermt und damit den Sommer verzoegert, gibt im Herbst langsam seine Waerme ab und erlaubt noch Anfang Oktober im Shirt spaziren zu gehen. Der September gilt als der schoenste Monat hier.

Mit meinen Gastgebern fahre ich an einem der waermeren Sonnentage auf die Russeninsel, wo eines der groessten Universitaetsgelaende der Pazifikregion (Russland und Gigantomanie sind Synonyme) entstanden ist, der sogenannte Campus. Durch das mit modernem technischen Equipment (Infobildschirme, eigene Bankfiliale fuer Studenten…) ausgestattete Hauptgebaeude gelangen wir in ein weitlaeufiges Parkgelaende, das am Strand der Ajaxbucht endet. Hier, am 9. Oktober, erfuellt sich endlich mein lang gehegter Wunsch, im Stillen Ozean zu baden. Er ist wirklich still, in dieser windgeschuetzten Bucht, aber das Wasser ist salzig und rein. Waehrend ich im Wasser plansche, wendet sich eine Passantin an meine Gastgeberin, wuenscht mir aus der Ferne alles Gute. Wiedererkennungseffekt nach einer Radiosendung. - Es ist dies der Hoehepunkt meiner Reise und gleichzeitig ein Abschied. Zeit, dass ich mich wieder auf den festen Boden der Tatsachen zurueckbegebe, an die Organisation der Rueckfahrt denke. Jeden Tag neigt sich die Sonne zeitiger gen Horizont, erwaermt sich die Erde spaeter.

Schnell noch meine Versprechen einloesen: Das Treffen mit einer  Journalistin von “Argumente und Fakten” findet inder “Baeckerei”, einem an deutschen Traditionen orientierten Backwarengeschaeft, statt. Der Kleinunternehmer hat damit eine interessante Idee aufgegriffen, ohne seine Mitarbeiter darueber zu informieren, dass Donuts keine deutsche Spezialitaet sind.

Noch ein Treffen mit potentiellen Gastgebern, ausserhalb des Zentrums. Der Sohn holt mich von der Bushaltestelle ab, fuehrt mich an finster blickenden Vorstadtbewohnern vorbei, zur Neubauwohnung, wo der gedeckte Tisch auf mich wartet. Die Motivation fuer diesen Aufwand ist auch hier die Hoffnung auf einen dauerhaften Kontakt zur westlichen Welt, die oft zu rosarot gesehen wird. Es ist muehsam in wenigen Augenblicken diese Vorstellungen zu verfeinern, umsonst ist es vielleicht nicht.

Zu einem allerletzten Treffen mit einem Fahrradfreak reicht die Kraft, dann entziehe ich mich vorerst dem Fremdinteresse, will nur noch das Ende meiner Anstrengungen auf einem Vorposten des Paradieses geniessen. Morgen mache ich mich an die Organisation der Ruecktour.

Fotos auf: traveldiary.de/Reiseblogs/Asien    

Zusatz von unterwegs: Ankunft auf dem Berliner Hauptbahnhof am 26.10., 0.29 Uhr aus Moskau, Wagon 265

Zurück