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6. Etappe Ufa - Kurgan

von Uwe

6. Etappe Ufa – Kurgan

Nikolai, mein Gastgeber in Ufa, zeigt mir mit bester Absicht die baulich neuesten “Errungenschaften” der Stadt, den Gostiny Dwor (Gasthof), ein modernes grosszuegig angelegtes Shoppingzentrum, fuehrt mich durch den fast menschenleeren Leninpark zu einem schicken Café mit gutem Kaffee aber fad-unrussischen Backwaren.

Neben der Statue von Salavat Julajew, dem baschkirischen Nationalhelden, in der Gastronomiejurte, bittet man mich sich ins Gaestebuch einzutragen, so bekannt bin ich schon, und nachdem er ein Foto von mir hat, laesst mich ein Busfahrer umsonst mitfahren, so gern hat man hier Auslaender.

Ich streife daraufhin selber rum, fotografiere die zerfallenden Holzhaeuser im Zentrum, die einmal das Stadtbild praegten und in denen nun Obdachlose leben, spaziere durch den stark frequentierten Volkspark Iwan Jakutow mit seinen Spieleattraktionen und kaufe mir leckere russischen Kuchen mit Quark, Marmelade oder Mohn. Dazu trinke ich Kwas, ein durch Brotgaehrung gewonnenes Erfrischungsgetraenk, das hierzulande teils immer noch in alten gusseisernen Tanks verkauft wird. Ljudmila, eine mit Herz ausgestattete gestandene Kwasverkaeuferin erzaehlt: Sie steht hier taeglich 12 Stunden fuer einen Verdienst unter 200 Euro, dazu eine Stunde Anfahrt. Die Tochter steht, das gleiche Los, 2 Ecken weiter. So laesst sich der Lebensunterhalt bestreiten, selbst mit 2 Essern mehr, dem minderjaehrigen Sohn der Tochter und ihrem spillerigen Mann, der wegen eines schmerzenden Beines zur Zeit auf den Bau nicht arbeiten geht. Der eigene Mann ist im Suff erschlagen worden. Das sei kein Einzelschicksal, ergaenzt sie, in ihrem Umfeld gebe es einige Maenner, die sich morgens zum froehlichen Beisammensein in maennlicher Gesellschaft versammeln, waehrend sich die Frauen laut schimpfend zur Arbeit trollen.

Der Ural, das sind meist mehrere Kilometer lange Anstiege/Gefaelle bis zu 7%, die ich mit meiner 9er-Schaltung gerade so bewaeltige ohne absteigen zu muessen. Mitten in dieser sich ueber etwa 130 km hinziehenden Region hatte ich mein Tagespensum erreicht, bei Satka. An einem Abzweig zu dieser kleinen Metallurgenstadt frage ich eine Gesellschaft froehlich Feiernder nach dem Weg und werde nicht mehr losgelassen. Alkohol darf ich nicht trinken, weil eine pensionierte Polizistin dabei ist, aber dass sie mich unterbringen wollen, hab ich schnell verstanden. Ich habe schon oefter den Ratschlag bekommen, bei alten Leuten um Unterkunft zu bitten, wenn ich das Geld fuers Hotel sparen will, nun steht mir eine solche Einladung ins Haus. Mit einem Konvoi fahre ich in Satka ein. “In diesem Haus wirst du schlafen!” Dort wohnen drei betagte Damen, man sieht es dem Haus an. “Die Banja must dir dir selbst anmachen.” Als das Feuer brennt, eklaert mir eine, dass es schoen waere, wenn ich ein paar Tage bliebe und die Tragebalken der Sauna erneuern koennte. Sie haetten niemanden, der ihnen das macht. Meine Ablehnung faellt mir schwer, denn an diesem Haus, an diesem Ort wird das Schicksal ganzer Regionen ersichtlich: der Verfall laendlicher oder ehemals industrieller Ansiedlungen. Dem Ort fehlt es an tatkraeftigen Maennern, die Haeuser, noch bewohnt, sind in einem ueberholungsheischenden Zustand.

Am naechsten Tag ueberblicke ich das Ganze besser. Waehrend Satka suedlich von schoenen Berglandschaften eingefasst ist, tuermen sich noerdlich riesige Foerderschutthalden. In der Mitte, durch ein gruenes Tal, das durch die Holzbauten noch zusammengepresster wirkt, fliesst ein klarer Bach und verlockt die Voegel zum Singen.

Mit 64 km/h rolle ich nach Asien ein, immer hoffend, dass Strasse und Autofahrer kein Bremsmanoever veranlassen. Beschwerdefrei komme ich nach Tscheljabinsk, die Achillessehne hat die Berge ueberstanden. Und wieder eine Sauna beim Empfang in einem komfortablen Haus am Strand des Smolinosees. Es ist das Haus der Eltern der “couchsurferin” Anja, die mir den Arbat, den Moskau nachgestalteten Kuenstlerboulevard zeigt, wo ich mich mit der Kulturreferentin fuer die deutsche Kultur in dieser Region treffe. Lisa ist eine Absolventin, die im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung handelt.

Die Folgen des Meteoriteneinschlags vom Februar scheinen beseitigt, die Leute erzaehlen nur noch davon. In Tscheljabinsk verlebe ich zwei, drei entspannende Tage, bevor ich mich auf den verhaeltnismaessig  flachen Streckenabschnitt vor Kurgan begebe. Ich versuche die kasachische Steppe vorauszuempfinden, muss mich aber bis zum Abend gedulden. Da dreht der leichte Rueckenwind ploetzlich und wirbelt Schmutz und Erde auf, um sie mir im Vorfeld eines nahenden Gewitters entgegenzuschleudern. Ich schaffe es gerade noch bis nach Schumicha, ins Hotel, wo die junge, energische Administratorin das erste Mal einen Auslaender eincheckt. In der Nacht beweist sie einmal mehr, dass selbst junge Frauen hier durchaus schon ihren Mann stehen: Sie setzt einen Hotelgast kurzerhand vor die Tuer, da er uns durch seine poltrige Art nicht schlafen laesst. Dem in das freigewordene Zimmer nachrueckenden Gast reicht es meinerseits um geringere Lautstaerke des TV zu bitten, dann kehrt endlich Ruhe ein.

Auf dem letzten Streckenabschnitt treffe ich Weltenradler Pavel Grachek, der sich Paul (amerikanische Aussprache) nennt. Paul-Pavel hat auf dem Streckenabschnitt durch die westlichen Laender seine Lektion gelernt. Er vergisst nicht wiederholt auf seine Seiten zu verweisen, eingedenk dessen, dass sich in der Branche der Extremsportler nur behaupten kann, wer immer wieder present ist. Eine furchtbare Vorstellung!

PS: Fotos wieder auf  traveldiary.de (vollstaendige Adresse s. letzten Beitrag)      

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