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7. Etappe Kurgan - Omsk

von Uwe

7. Etappe Kurgan – Omsk

 

Als ich nach dem Zentrum von Kurgan (Oblasthauptstadt) frage, zuckt man mit den Schultern: “Haben wir nicht.” Und wirklich, bis zum Bahnhof, in dessen Naehe mein Quartier liegen soll, Dorfatmosphaere, Huetten, Einfamilienhaeuser, schlechte Strassen, ab und zu ein gemauerter Mehrstoecker. Spaeter revidiere ich meine Meinung. Jenseits der Schienen ist alles Stadtwesentliche vorhanden. Hauptstrassen mit zentralem Platz, meist aus dem 19. Jahrhundert stammende unter Denkmalschutz stehende Kaufmannshaeuser, der Park mit den Spieleattraktionen fuer Kinder und Kriegsmemorial und ein neues, groesseres Konzerthaus. Beim Kaufhaus ist sogar die Synthese von Alt und Neu durch einen Verbindungsgang zwischen beiden Gebaeuden gelungen.

Ich lebe mit Wanja im bescheidenen Haushalt seiner Mutter, die meine Reise begeistert verfolgt und nach den schweren “gesetzlosen” Jahren der Perestroika sich durch ehrliche Arbeit ab und an einen Auslandsurlaub leisten kann.

Auf dem Weg nach Kasachstan treffe ich Bulat, einen Kasachen, der auf russischem Territorium Laendereien bewirtschaftet (Getreide, Pferdezucht) und mich auf seinen Landsitz einlaedt. Aber ich habe mich schon mit meinen Gastgebern in Petropawlowsk verabredet, bin in Eile. An der Grenze dann das boese Erwachen. Wir schreiben den 26. Juni, aber mein Visum gilt erst ab 1. Juli. Ich bin bei der Planung von 80 – 100 km taeglich ausgegangen und nun zu schnell im Mittel, trotz der Verzoegerungen durch mein Bein. Nun muss ich 4 Tage im Hotel von Petuchewo warten. Die Warte/Erholungszeit ist nicht langweilig: ich lerne eine russische Familie kennen, die mich mit koestlichen Naturprodukten bewirtet und nach der Voellerei einen Schlafplatz offeriert. Ich werde von Andrej, einem in Kasachstan lebenden russlanddeutschen Ingenieur auf den Bau (Gereidefilteranlage) eingeladen, und nicht weit von hier befindet sich die Urlaubsanlage Medwesha.

In Petropawlowsk werde ich schon vom Rand der Stadt aus mit Toyotajeap zur zentral gelegenen Wohnung von Oleg, Frau und Kindern begleitet. Die Ehre, die man mir hier zuteil werden laesst, verpflichtet mich an meinem einzigen ganzen Tag in der Stadt zu einem gemeinsamen Stadtrundgang; den zweiten Teil des Tages widme ich den Russlanddeutschen. Schon in Peterfeld kurz vor der Stadt habe ich mir von deren verflossenen Einfluss ein Bild machen koennen. In die in den 90ern verlassenen Haeuser sind inzwischen ueberwiegend Kasachen eingezogen. Aber in Petropawlowsk, im Haus der 22 Nationen, existiert noch eine funktionierende Gemeinschaft namens “Wiedergeburt”. Beim Gespraech bricht Elvira Kowsel in Traenen aus. Ihr Vater haette die Sprachpruefung nicht bestanden, deshalb muessten sie hier bleiben… Aber vor Ort leistet sie eine hervorragende Arbeit, betreut menschlich warm die Uebriggebliebenen, organisiert Sprachkurse und unterhaelt eine beachtliche Buechersammlung (, die man in den russischen Buecherlaeden, selbst in Moskau, vergeblich sucht.)

Schon wieder auf russischem Boden treffe ich dann den ersten die deutsche Sprache noch beherrschenden Menschen, einen Pfarrer aus Nasywajewsk, der mit Stolz davon spricht, die irrlichternden Seelen seiner Gemeinde zu sinnvoller Gemeinschaft gefuehrt zu haben. Leider liegt der Ort 70 km zu weit noerdlich.

Ein anderer Deutschrusse, eine kleine Tankstelle bedienend, berichtet mit Galgenhumor von seiner Rueckkehr nach Russland: “In Deutschland ist es zu kalt, die Menschen und so, du verstehst. Ich habe mich nicht wohl gefuehlt, keine Arbeit und so.” Ich kann seine Gedanken nachvollziehen, achte den Schritt “zurueck” in ein zwar bescheideneres, aber wahrscheinlich harmonischeres Leben.

In dem kleinen Ort Moskalenki verbringe ich einen Teil des Abends umschart von jungen russischen Maennern, die mich bewirten wollen und mit Fragen bestuermen. Emotional weisen sie sich gegenseitig in die Schranken, um Aufmerksamkeit zu bekommen, dann umarmen sie sich wieder. Einer versucht staendig Englisch mit mir zu sprechen, manchmal verstehe ich ihn. Besonders leuchten seine Augen, als er Informationen uebers Oktoberfest einholt, wo er einmal weilen moechte. Ich erzaehle, was ich weiss, dann verabschiede ich mich. Am naechsten Morgen, erzaehlen mir die Angestellten, soll er (in betrunkenem Zustand) vom Zug ueberrollt worden sein.

Der letzte Streckenabschnitt bis Omsk hat es in sich. Gegenwind, Regen. 50 km vor der Stadt, ich habe endlich ein unguenstig gelegenes Loch im Schlauch flicken koennen, gerate ich an den Rand eines Wetterwirbels, der mich wie wild vor sich hertreibt. Mit angespannten Kraeften umschiffe ich das Zentrum des Sturms, hinter mir bricht dann die Hoelle los. Vor mir ploetzlich Windstille und Sonne. Ich habe das Gefuehl, jetzt erst hat mich Sibirien akzeptiert.

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